Ian Kiaer
Endnote oblique, pink
September 9 – November 9, 2023

Ausstellung: 9. September – 9. November, 2023
Eröffnung: Freitag, 8. September, 18–21 Uhr

Wir freuen uns, die Ausstellung Endnote oblique, pink des britischen Künstlers Ian Kiaer zu präsentieren. Im Vorfeld haben wir mit Kiaer ein Gespräch über die Ausstellung und seine Arbeit geführt.

In deiner dritten Ausstellung in der Galerie Barbara Wien legst du den Fokus auf Malerei. In deinen bisherigen Ausstellungen bei uns hast du Malerei mit Installation und Skulptur kombiniert; es waren Modelle, architektonische Strukturen, Inflatables und Video integriert. Wie unterscheidest du zwischen diesen Kategorien? Gibst du einem Medium den Vorzug?
Kiaer: Ich interessiere mich schon länger für das „Modell als Form‟, etwa gleichbedeutend mit dem Aphorismus oder dem Fragment in der Literatur – etwas, das zwischen den etablierteren Disziplinen Malerei, Skulptur, Film agieren kann. Die Fähigkeit eines Modells, Ideen auf fragmentarische, provisorische, experimentelle Weise vereinfacht zu veranschaulichen, bedeutet, dass es auf die Möglichkeiten der jeweiligen Disziplin eingehen kann, und die daraus entstehenden Werke führen dann einen Dialog miteinander. Bilder als Modelle zu betrachten, ist nicht neu, aber es ermöglicht, bestimmte Überlegungen in der Malerei wieder aufzugreifen, die sonst vielleicht übersehen oder als bereits geklärt betrachtet würden.

Ein wiederkehrendes Moment in deinen Bildern ist ein subtil gezeichnetes Grundlinienraster im Hintergrund. In der Malerei dient das Raster meist als Hilfsmittel, um die Proportionen einer bestimmten Bildvorlage korrekt wiederzugeben. Deine Bilder sind eher abstrakt, figurative Darstellungen werden nur angedeutet oder erscheinen als zufällige Spuren im Material. Welche Bedeutung hat das Raster in deinen Arbeiten?
Kiaer: Das Raster ist vielleicht ein Beispiel für den Rückgriff auf eine bestimmte Form in der Malerei. Es weckt alle möglichen Assoziationen, sowohl mit der Moderne und dem Monochromen, als auch mit früheren historischen Anwendungen, wie ein Motiv in eine andere Proportion zu übersetzen. Rosalind E. Krauss erwähnt die Verbindung des Rasters zum Fenstermotiv in der Romantik und deutet auf einen gewissen Verlust der Erzählung hin, es bleibt also nur eine Art Geisterbild. Das Raster hat mich schon immer als ein beinahe verzweifelter Versuch fasziniert, etwas festzulegen, das sich vollständig einer messbaren Bestimmung entzieht. Es gibt diese absurden Diagramme, mit denen Ruskin versucht, die Darstellung von Wolken zu rationalisieren. Es ist so herrlich unpassend, feste geometrische Prinzipien zu verwenden, um sich mit Wasserdampf auseinanderzusetzen. Doch es weist auch auf einen wichtigen Punkt hin, nämlich dass in einem Werk verschiedene Arten von Wissen eine Rolle spielen. Dass meine Raster mit Bleistift gezeichnet sind, deutet auf etwas recht Vorläufiges hin. Es ist eine Methode, um etwas zu beginnen, um die Oberfläche zu erfassen und die verschiedenen Spuren, Abdrücke und Flecken wahrzunehmen, die bereits vorhanden sein oder später im Malprozess auftauchen können. Raster ermöglichen so, die Aufmerksamkeit auf ein entstehendes Bild zu lenken und gleichzeitig eine gewisse Flächigkeit aufrechtzuerhalten, wo Stimmung oder Farbton ebenso wichtig sein können wie Informationen oder Ideen.

Zuletzt hast du dich besonders mit der „fonction oblique‟, der Theorie einer schrägen Architektur beschäftigt, einem Konzept, das in den 1960er-Jahren von Claude Parent und Paul Virilio entwickelt und vorangetrieben wurde. Parent und Virilio erforschten eine neue architektonische und urbane Ordnung, die den menschlichen Körper dazu bringen sollte, sich an Ungleichgewicht anzupassen, indem Schwindelgefühle ausgelöst und eine fließende, kontinuierliche Bewegung gefördert werden sollte. Ihre Überlegungen manifestierten sich in der Theorie des schrägen Winkels. Sie sahen vor, Räume mit schiefen Böden und Wänden zu gestalten und beriefen sich auf ein neues dynamisches Architekturmodell, das das Körperbewusstsein in einer instabilen Umgebung in den Mittelpunkt stellt. Kannst du uns etwas über dein Interesse an der Theorie der schrägen Architektur sagen und inwieweit es deine aktuelle Arbeit beeinflusst?
Kiaer: Von meinem anfänglichen Interesse an der „schrägen Architektur‟ bis zur Entwicklung der Arbeiten für diese Ausstellung haben sich die Dinge etwas verändert. Aber wie du schon sagst, wenn man einer schrägen Fläche und einer Vielzahl von Winkeln gegenübersteht, führt das zu einer gewissen Instabilität, die wiederum die Wahrnehmung schärft. Ich hatte gehört, dass Parent und Virilio sich bei Merleau-Pontys Vorlesungen über Wahrnehmung an der Sorbonne kennengelernt haben. Das brachte mich dazu, darüber nachzudenken, was ihre Ideen der Malerei zurückgeben könnten. Fragen der Oberfläche, der Berührung und der Aufmerksamkeit in der Malerei waren zweifelsohne Anliegen von Merleau-Ponty, aber ich hatte das Gefühl, dass diese von Parent und Virilio eingebrachte körperliche Dimension für die Erfahrung von Malerei wichtig sein könnte. In meiner letzten Ausstellung in der Galerie Alison Jacques habe ich mich auf verschiedene Oberflächenmaterialien – Papier, Plexiglas, Zellophan, Sackleinen und Blattsilber – und auf starke Veränderungen der Größenordnung konzentriert, um eine körperliche Sensibilität hervorzurufen, während man sich zwischen den Werken bewegt. Bei unserer Ausstellung ist nahezu das Gegenteil der Fall – kleinere, zurückhaltende Arbeiten, wenngleich die Titel ein weiterhin vorhandenes Interesse andeuten, insbesondere im Hinblick auf den Aspekt der Berührung. Ich habe „oblique, pink‟ gegoogelt und stieß auf eine Bandbreite von Produkten von Dior, was mir irgendwie gefiel.

Gibt es einen roten Faden, der sich durch deine Arbeit zieht, bezogen auf die Auseinandersetzung mit verschiedenen Personen und Ideen aus Architektur und Philosophie? Ich denke an Friedrich Kiesler oder Michael Marder, um nur zwei zu nennen, mit deren Theorien und Ansätzen du dich in der Vergangenheit beschäftigt hast.
Kiaer: Ich bin mir nicht sicher, Fragen der natürlichen Form könnten aber ein verbindender Impuls sein. D‘Arcy Thompsons Über Wachstum und Form war ein Werk, auf das ich schon früh gestoßen bin und das sicherlich in der Auseinandersetzung mit den beiden von dir genannten mit hinein spielt. Bei Kiesler hat mich vor allem seine Abkehr von der Beschäftigung mit den geometrischen Flächen der Moderne hin zum Biomorphen und Surrealen begeistert. Genauso wie seine noch immer unveröffentlichte „Magische Architektur‟, eine Sammlung von ausgeschnittenen und aufgeklebten Textfragmenten neben Zeitschriftenausschnitten und seinen eigenen Zeichnungen, die sich zu einer visionären Idee verbinden (nur wenige Seiten scheinen jemals in Büchern reproduziert worden zu sein, das Ganze aber ist großartig). Bei Marder war es sein „Plant-Thinking‟, eine Annäherung an nicht-menschliches Denken, anhand der Beobachtung von Wachstum und Wesen von Pflanzen. Dieser Ansatz setzt eine den Pflanzen angeborene Sensibilität für die Umgebung, für den Boden, für Minerale, Licht, Flüssigkeit voraus – alles Dinge, die wirklich auch die Malerei angehen.

Wir führen dieses Gespräch während du in deinem Studio an den neuen Werken für unsere Ausstellung arbeitest. Wie wichtig sind die Gegebenheiten des Ausstellungsraumes für dich? Inwieweit beeinflussen sie die Entwicklung von neuen Arbeiten und Ideen? Wie wichtig ist andererseits die Zeit im Studio?
Kiaer: Das Studio ist für mich tatsächlich wichtig, sowohl für die Findung als auch für das Verwerfen von Ideen im Arbeitsprozess, um Zeit, Scheitern und das Unbekannte in die Arbeit einfließen zu lassen. Als ich studierte, entwickelten Bourriaud und andere Konzepte einer Postproduktion, bei der eine Arbeit quasi vom Hotelzimmer aus direkt in einer Fabrik oder Produktionsanlage umgesetzt wird. Diese Idee eines mobilen Nomadentums schien sehr dynamisch zu sein, aber dabei wurde die Intention der Künstler:innen, ihre Vorstellungen von Kontrolle und Sicherheit betont, was eine langsamere, mehr experimentelle Herangehensweise nicht zuließ. Ich glaube dagegen, dass immer ein Abgleich erforderlich ist, wenn ein Werk das Studio für eine Ausstellung verlässt. Jede Arbeit muss auf den jeweiligen Ausstellungsraum antworten, selbst wenn die Bilder – wie bei unserer Ausstellung – eine gewisse Eigenständigkeit haben. Da diesmal jedes Werk so individuell ist, könnte es sein, dass ihre Wirkung eine ganz besondere Handhabung erfordert, damit sie sowohl im Raum als auch miteinander funktionieren. Ich mag die Galerieräume von Barbara sehr, die Höhe der Decken, das Licht, die verschiedenen Abfolgen zwischen Fenstern, Werken und Türen.

Fragen: Anika Matthes

Ian Kiaer (geb. 1971 in London, UK) lebt und arbeitet in Oxford. Er hatte Einzelausstellungen, u.a. im Heidelberger Kunstverein, Heidelberg (2020); in der Kunsthalle Lingen (2019); im Musée d‘Art Moderne de la Ville de Paris (2017); Neubauer Collegium, Chicago (2016); Henry Moore Institute, Leeds und in der Focal Point Gallery, Southend-on-Sea (both 2014); im Centre International de l‘art et du Paysage, Vassivière (2013); Aspen Art Museum, Aspen (2012); Kunstverein München (2010); und in der Galleria d‘Arte Moderna e Contemporanea, Turin (2008).
Kiaer hat an Gruppenausstellungen teilgenommen, u.a. im Schiller Museum, Weimar; bei Phenomenon 4, Anafi; in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen; im Modern Art Oxford; frac île-de-france, Paris; Mudam Luxembourg; Tate Modern und Tate Britain, London; Hammer Museum, Los Angeles; in der Hayward Gallery London; sowie an Biennalen in Rennes (2012), Lyon (2009), Istanbul (2007), Berlin (2006) und Venice (2003).
2018 erhielt Kiaer den renommierten Philip Leverhulme Prize.
Parallel zu seiner Ausstellung in der Galerie Barbara Wien nimmt Kiaer mit einer ortsspezifischen Installation an der Eröffnungsausstellung UNBUILD: a site of possibility im neuen Gebäude des Drawing Room in London teil (22. September – 10. Dezember 2023).


Exhibition: September 9 – November 9, 2023
Opening: Friday, September 8, 6–9 pm

We are delighted to present the exhibition Endnote oblique, pink by British artist Ian Kiaer. In anticipation of his show, we had a conversation with Kiaer about the exhibition and his work.

Your third exhibition at Galerie Barbara Wien focuses on painting. In your previous shows at the gallery, you combined painting with installation and sculpture, involving models, architectural structures, inflatables, and video. How do you differentiate between these categories and do you give preference to a medium?
Kiaer: For a long while I’ve been interested in the ‘model as a form’, equivalent in writing say, to the aphorism or written fragment—something that can operate between the more established disciplines of painting, sculpture, film. The model’s capacity to pragmatically carry ideas in fragmentary, makeshift, experimental modes means it can respond to the demands of each discipline, with the resulting works speaking to one another. To think of paintings as models is not new, but it does allow one to revisit certain concerns in painting that otherwise might be overlooked or considered already resolved.

A recurring element in your paintings is a subtly drawn baseline grid in the background. In painting, the grid is usually a tool to follow the correct proportion of a certain template image. Your paintings are rather abstract, figurative representations are only hinted at or emerge as accidental traces in the material. What meaning does the grid take on in your work?
Kiaer: The grid is perhaps one example of returning to a particular figure in painting. It has all kinds of associations both with Modernism and the monochrome, as well as earlier historical manifestations of squaring up an image for translation. Rosalind E. Krauss mentions its relation to the Romantic windowpane and implies a certain loss of narrative, a kind of ghost image. I’ve always been intrigued by the grid as an almost forlorn method, an attempt to pin something down that altogether resists measurement. There are those perverse diagrams that Ruskin uses to attempt to rationalise representations of clouds. It’s so beautifully unsuited, to use fixed geometric principles to contend with water vapour, but it speaks of the wider concern for different kinds of knowledge to be at play in a work. That my grids are pencil suggests something quite tentative, as a way of beginning something, a means of accounting for the surface of the work and attending to the different traces, marks and stains that might already be present or later appear in the process of painting. Grids then become a way of giving attention to an emergent image while also asserting a certain flatness, where mood or tone might be given as much importance as information or ideas.

For your recent work you did research on ‘The Function of the Oblique’, an architectural concept conceived of and driven forward by Claude Parent and Paul Virilio in the 1960s. Parent and Virilio explored a new architectural and urban order that would force the body to adapt to disequilibrium, encouraging vertigo and promoting fluid, continuous movement. This investigation manifested in their theory of the ‘angle of the oblique’, which suggested designing spaces at angles, proposing a new dynamic architectural model that focused on the body’s awareness within a destabilised environment. Can you tell us about your interest in ‘the oblique’ and in what way it influences your recent work?
Kiaer: Things have moved on slightly since my initial interest in the oblique and the development of work for this show. But as you say, when a person stands on a slope and has to negotiate a variety of angles, it introduces a certain instability which, in turn, heightens perception. I’d heard that Parent and Virilio met while attending Merleau-Ponty’s lectures on perception at the Sorbonne and this led me to think about what their ideas might give back to painting. Questions of surface, touch and attention in painting were clearly concerns of Merleau-Ponty but I felt this bodily dimension they introduce, could be important for an experience of painting. In my last show at Alison Jacques gallery, I focused on different registers of surface material—paper, Plexi, cellophane, hessian, and silver leaf, along with dramatic changes of scale, to try and bring about a bodily sensitivity as one moved between the works. For our show, it’s almost the opposite that’s at play—quite small discreet works, though the titles suggest a remnant interest, particularly in respect to touch. I googled ‘oblique, pink’ and was presented with a range from Dior, which I kind of enjoyed.

Thinking of Frederick Kiesler or Michael Marder, amongst others, who informed your practice in the past, what is the common thread that runs through your work in terms of your involvement with different figures and ideas from architecture and philosophy?
Kiaer: I’m not sure, though questions of natural form could be a linking impulse. D’Arcy Thompson’s On Growth and Form was a work that I came across early on and certainly has a resonance with the two you mention. With Kiesler, certainly his turn from a preoccupation with modernist geometric plains towards the more biomorphic and surreal grabbed me. Also, his still unpublished ‘Magic Architecture,’ comprised of cut out and pasted bits of text alongside magazine clippings and his own drawings that conjoin into a visionary thesis (only a few pages ever seem to be reproduced in books but the whole thing is wonderful). With Marder, it was his ‘plant thinking,’ an approach to non-human thought informed by plant growth and being. Implied in this demand, is an innate sensitivity to surroundings, to ground, mineral, light, liquid—really the stuff of painting.

This conversation is taking place whilst you are working on a new body of work in your studio for our exhibition. How important are the conditions of the exhibition space to you? To what extent do they influence the development of new work and ideas? On the other hand, how significant is the studio practice?
Kiaer: For me the studio is so important, both for making but also in moving away from ideas of direct production, to allow time, failure and the unknown into the work. When I was a student, Bourriaud and others were developing notions of post-production, for work to be implemented directly from hotel room to factory or fabrication plant. This idea of a contingent nomadism seemed very dynamic, but implicit was an emphasis on the will of the artist, an idea of control and certainty that didn’t allow for a slower, more experimental means of reflection. I feel then, there’s always a need for adjustment when the work moves out of the studio for exhibition. Each work has to respond to the particular space it occupies, even—as with our show—when the paintings have a certain autonomy. Perhaps because this time, each work is so singular, that their presence needs a very particular response, for them to be conversant both with the room and each other. I love the spaces in Barbara’s gallery, the height of the ceilings, the light, the different pacing it allows between windows, works and doors.
Questions: Anika Matthes

Ian Kiaer (b. 1971 in London, UK) lives and works in Oxford. He has had solo exhibitions at venues including Heidelberger Kunstverein, Heidelberg (2020); Kunsthalle Lingen (2019); Musée d‘Art Moderne de la Ville de Paris (2017); Neubauer Collegium, Chicago (2016); Henry Moore Institute, Leeds and Focal Point Gallery, Southend-on-Sea (both 2014); Centre International de l‘art et du Paysage, Vassivière (2013); Aspen Art Museum, Aspen (2012); Kunstverein München (2010); and Galleria d‘Arte Moderna e Contemporanea, Turin (2008).
Kiaer has participated in group shows such as at Schiller Museum, Weimar; Phenomenon 4, Anafi; GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen; Modern Art Oxford; frac île-de-france, Paris; Mudam Luxembourg; Tate Modern and Tate Britain, London; Hammer Museum, Los Angeles; Hayward Gallery London; as well as in biennales in Rennes (2012), Lyon (2009), Istanbul (2007), Berlin (2006) and Venice (2003).
In 2018 Kiaer was awarded the prestigious Philip Leverhulme Prize.
Concurrently with his exhibition at Galerie Barbara Wien, Kiaer is participating with a site-specific installation in the inaugural group show, UNBUILD: a site of possibility, at Drawing Room‘s new building in London (September 22 – December 10, 2023).