Ausstellung: 28. April – 3. Juli 2021 (verlängert bis 22. August)
Eröffnung am Gallery Weekend Berlin
Preview Days: 28. – 30. April, 12–19 Uhr
Public Days: 1. – 2. Mai, 12–19 Uhr
Wir können nicht nur über das sprechen, was wir sehen; wir müssen auch über das sprechen, was wir nicht sehen und darüber, was die Bilder andeuten können. (1)
Galerie Barbara Wien präsentiert ihre vierte Einzelausstellung mit der Photographin Elisabeth Neudörfl.
Die Ausstellung zu ihrer neuen Serie Out in the Streets ist eine umfassende photographische Bestandsaufnahme des öffentlichen Stadtraums in Hong Kong im Frühjahr 2020. Elisabeth Neudörfl, die seit 2009 an der Folkwang Universität der Künste in Essen dokumentarische Photographie lehrt und zu den bedeutendsten Vertreterinnen der künstlerischen Dokumentarphotographie zählt (2), reiste im Februar 2020 nach Hong Kong, um den Zustand der Stadt nach dem Abflauen der Demokratiebewegung und am Beginn der Corona-Pandemie festzuhalten.
Sie hat auf den Demonstrationsrouten und an den Universitäten photographiert. Aber nicht nur hier, an den Orten der studentischen Proteste, auch in anderen Stadträumen erscheint Hong Kong als dystopische Stadt: geschlossene Läden, Straßen ohne Verkehr, menschenleere Metrostationen. Vor allem Graffiti und übermalte Graffiti spiegeln die Auseinandersetzungen und die Veränderungen in der Stadt. Die Photographien bezeugen eindrucksvoll einen Moment in der Geschichte Hong Kongs – den gespenstischen Ausnahmezustand zwischen Protest und Pandemie.
Für Neudörfl, in deren Werk die Auseinandersetzung mit politisch und historisch aufgeladenen Orten stets ein Hauptthema ist (3), wirkten die politische Gegenwart Hong Kongs und die Härten einer Pandemie als Aufforderung, die Stadt in diesem Zustand in Bildern festzuhalten. Ihr Konzept ist dabei, gerade nicht die stereotypische journalistische Bildsprache der Brutalitäten und der Straßenschlachten zu wiederholen, sondern die Bilder der Straßen, der Architektur, der Graffiti selbst sprechen zu lassen. Was sie anstrebt in der dokumentarischen Photographie, das ist eine Verbindung zu schaffen von künstlerischer Form und gesellschaftlicher Analyse.
Aus dem Bildmaterial aus Hong Kong hat Neudörfl 96 Fotos für ein Künstlerbuch ausgewählt, das begleitend zur Ausstellung erscheint – in der Galerie präsentiert sie 35 großformatige Photographien. Der historische Kontext Hong Kongs wird in wenigen Bildern mit Photographien der Kolonialarchitektur und der Gebäude der Bank of China angedeutet; den Hauptteil bilden die Photographien von Demonstrationsrouten und Universitätsgelände. Ein anderer Teil, sowohl in der Ausstellung als auch im Buch, sind ein Video und Standbilder, die zeigen, wie ein Kalligraphiepinsel die chinesischen Zeichen für Hong Kong und ein Graffito aus dem Stadtraum schreibt. Neudörfl hat eine Actionkamera an dem Pinsel befestigt. Der Blick folgt dem Pinsel, der immer am rechten Rand ins Bild hineinragt. In dieser Versuchsanordnung prallen ganz unterschiedliche Momente aufeinander: Graffiti werden schnell geschrieben, möglichst unerkannt. Bei der Kalligraphie geht es um das präzise Setzen jedes einzelnen Strichs. Actionkameras werden für schnelle, spektakuläre, raumgreifende Bewegungen eingesetzt. Hier verlassen Pinsel und Kamera den Tisch mit dem Papier nicht, die Bewegungen sind langsam. Die Konzentration der Kalligraphie steht sowohl dem Ephemeren der Graffiti als auch der „Action“ der Actionkamera entgegen. Das langsame Schreiben des Graffito verweist auf die Bedeutung solcher Slogans und Texte, die für die Kommunikation im Stadtraum wichtig sind.
Ein weiteres Element im Buch sind Photographien der Actionfigur „Demonstrant“, die es neben anderen Heldenfiguren wie Bruce Lee und Lady Samurai in Hong Kong in speziellen Läden zu kaufen gibt. Die „Demonstrant“-Figur trägt ihre Insignien: Ausrüstungsgegenstände wie Regenmantel, Helm, Atemschutzmaske, Schutzbrille.
Das gesamte Projekt wird gefördert von der Stiftung Kunstfonds NEUSTART KULTUR.
(1) Elisabeth Neudörfl, Photography vs. Visibility: Seeing Unseen Aspects of a City
in: Urban Image Now: Photographic and Filmic Manifestations of a Subjective City Experience, Special Issue of Visual Resources. An International Journal of Documentation, 26. Jahrgang, Nr. 1, Routledge 2010
Ein weiterer Beitrag zur Theorie der Dokumentarphotographie von Elisabeth Neudörfl ist: Periphery at the Core: Habitat. Vortrag, 2010 gehalten in München auf der Konferenz „Cityscapes in History: Creating the Urban Experience“ am Center for Advanced Studies, Ludwig-Maximilians-Universität, München.
(2) Thomas Weski über Elisabeth Neudörfl:
„Elisabeth Neudörfl erstellt in ihrer künstlerischen Arbeit umfangreiche photographische Dokumentationen des städtischen Raums und der Übergangszone zwischen Stadt und Land. Dieses Vorgehen hat sie bei verschiedenen Projekten in Deutschland und in Asien eingesetzt. Neudörfl analysiert urbane Strukturen als Voraussetzung sozialen Verhaltens und verbindet so künstlerische Sicht mit gesellschaftlicher Analyse. Die Künstlerin hat unterschiedliche Präsentations- und Publikationsformen für ihre direkte, nachvollziehbare und dokumentarische Photographie entwickelt. Ihre Schwarzweiß- oder Farbaufnahmen arrangiert sie oft zu Bildabläufen und reflektiert so die Grenzen und Eigenheiten des verwendeten Mediums.“
in: Ruhrblicke / Ruhr Views. Kat. (Dt./Engl.). Hrsg. v. Thomas Weski. Zur Ausstellung im SANAA-Gebäude Essen. Text v. Sigrid Schneider. Künstlerbeiträge v. B. & H. Becher, Joachim Brohm, Hans-Peter Feldmann, Candida Höfer, Elisabeth Neudörfl. Köln 2010
(3) Elisabeth Neudörfl hat mehrere Künstlerbücher publiziert, die sich dem Thema der Stadt und der künstlerischen Dokumentation politisch aufgeladener Orte widmen. Unter anderem: Future World (2002), Sprengel Museum Hannover; Super Pussy Bangkok (2006), Institut für Buchkunst Leipzig; E.D.S.A. (2010), Wiens Verlag, Berlin.
Elisabeth Neudörfl (* 1968 in Darmstadt) lebt und arbeitet in Essen. In ihrer photographischen Arbeit beschäftigt sie sich mit sozialen, politischen und historischen Themen. Die meisten Projekte setzen sich mit städtischen Umgebungen auseinander und beinhalten Architektur, Verkehr, räumliche Strukturen und bestimmte Ereignisse. Die Straße ist nicht nur ihr bevorzugter Arbeitsort, sondern auch ein wichtiges Thema in ihrer Arbeit.
Neudörfl ist Professorin für Dokumentarphotographie an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Nach einer Ausbildung zur Photographin hat sie Photographie in Dortmund und Leipzig studiert und an mehreren Hochschulen unterrichtet. Ihre Arbeit wurde unter anderem in folgenden Büchern publiziert: Im Krankenhaus (2018, Spector Books, Leipzig, in Zusammenarbeit mit Ludwig Kuffer und Andreas Langfeld), E.D.S.A. (2010, Wiens Verlag, Berlin) und Super Pussy Bangkok (2006, Institut für Buchkunst, Leipzig). Sie hatte international Einzel- und Gruppenausstellungen, wie zuletzt SUBJEKT und OBJEKT. FOTO RHEIN RUHR, Kunsthalle Düsseldorf; SCHWARZ [ˈʃvaʁʦ], Museum unter Tage, Bochum und Photography Calling!, Sprengel Museum Hannover.
Neben privaten Sammlungen ist ihre Arbeit in institutionellen Sammlungen vertreten, wie dem Sprengel Museum Hannover und dem Fotomuseum Winterthur. Neudörfl schreibt auch über Photographie. Ihr neuester Artikel heißt Photographer’s Dilemma: „Good“ Photography vs. „Good“ Architecture, er erscheint in der Architektur-Zeitschrift Candide (Ausgabe Nr. 12, Hatje Cantz 2021).
Vom 30. Juli bis 7. November 2021 zeigt das Museum Folkwang in Essen Neudörfls Arbeit, wo das Projekt Im Krankenhaus über die beiden Essener Alfried Krupp Krankenhäuser präsentiert wird. Die Ausstellung wird 2022 in der Villa Hügel erweitert fortgesetzt.
Exhibition: April 28 – July 3, 2021 (extended until August 22)
Opening during Gallery Weekend Berlin
Preview Days: April 28–30, 12–7 pm
Public Days: May 1–2, 12–7 pm
We cannot only talk about what we see; we also have to talk about what we do not see and what the pictures might imply. (1)
Galerie Barbara Wien presents its fourth solo exhibition with the photographer Elisabeth Neudörfl.
The exhibition of her new series, Out in the Streets, is a comprehensive photographic survey of the public urban space in Hong Kong in Spring 2020. Elisabeth Neudörfl is one of the most important representatives in the field of artistic documentary photography (2), and since 2009, she has taught documentary photography at the Folkwang University of the Arts in Essen. In February 2020, Neudörfl travelled to Hong Kong to document the state of the city following the decline of the pro-democracy movement and the beginning of the Coronavirus pandemic.
She photographed the universities and along the demonstration routes. But it isn’t only here – at the sites of the student protests – that Hong Kong appears as a dystopian city; other pictures depict closed shops, traffic-free streets, and deserted metro stations. Above all, the graffiti and painted-over graffiti reflect the conflicts and changes in the city. The photographs are an impressive testament to a moment in Hong Kong’s history – the eerie state of emergency between protest and pandemic.
For Neudörfl – a major theme of whose work is the exploration of politically and historically charged places (3) – the recent political situation in Hong Kong and the hardships of a pandemic acted as a call to document the state of the city. Her concept deliberately avoids the repetition of stereotypical journalistic imagery of brutality and rioting; instead, she allows the images of the street, the architecture, and the graffiti to speak for themselves. What she strives for in documentary photography is to create a link between artistic form and social analysis.
From the photographic material from Hong Kong, Neudörfl selected 96 photos for an artist’s book which will be published alongside the exhibition. In the gallery, she presents 35 large-format photographs. Hong Kong’s historical context is hinted at in a few images via photographs of colonial architecture and the Bank of China buildings; photographs of demonstration routes and university grounds are the main part. Another element – of both the exhibition and the book – comprises a video and still images depicting a calligraphy brush writing the Chinese characters for Hong Kong and a graffiti from the urban space. In this work, Neudörfl attached an action camera to the brush. The eye tracks the brush‘s movements that extend constantly into the image from the right edge. Very different aspects collide in this experimental setup. Graffiti are written speedily, if possible anonymously. In calligraphy, it is about the precise placement of each stroke, whereas action cameras are used for fast, spectacular, expansive movements. Here, brush and camera are limited to the table‘s paper-covered surface; all movements are slow. The concentration immanent in calligraphy opposes the ephemeral character of graffiti or the "action" supported by an action camera. The slow writing of the graffiti points to the meaning of such slogans and texts that are important for communication in urban spaces.
In the book, an additional part includes photographs of the action figure “Protestor”, which can be bought in specialist shops in Hong Kong, alongside other heroic figures such as Bruce Lee and Lady Samurai. The “Protestor” figure wears its insignia: equipment such as a raincoat, helmet, respirator and goggles.
The entire project is supported by the Stiftung Kunstfonds NEUSTART KULTUR.
(1) Elisabeth Neudörfl, Photography vs. Visibility: Seeing Unseen Aspects of a City
in: Urban Image Now: Photographic and Filmic Manifestations of a Subjective City Experience, Special Issue of Visual Resources. An International Journal of Documentation, Year 26th, No. 1, Routledge 2010
Another contribution to the theory of documentary photography by Elisabeth Neudörfl is: Periphery at the Core: Habitat. Lecture given in Munich in 2010 at the conference “Cityscapes in History: Creating the Urban Experience” at the Centre for Advanced Studies, Ludwig Maximilian University of Munich.
(2) Thomas Weski on Elisabeth Neudörfl:
“In her work as an artist, Elisabeth Neudörfl produces extensive photographic documentations of urban space and the transition zones between city and countryside. She has used this approach in various projects in Germany and Asia. Neudörfl analyzes urban structures as a prerequisite for social behaviour and thus combines an artistic perspective with social analysis. The artist has employed a wide variety of forms of presentation and publication for her direct, relatable, and documentary photography. She arranges her black-and-white or colour photographs into sequences, thus reflecting on the limits and features of the medium employed.”
in: Ruhrblicke / Ruhr Views. Catalogue (German/English). Edited by Thomas Weski on occasion of the exhibition in the SANNA Building, Essen. Text by Sigrid Schneider. Artist contributions by B. & H. Becher, Joachim Brohm, Hans-Peter Feldmann, Candida Höfer, Elisabeth Neudörfl. Cologne 2010
(3) Elisabeth Neudörfl has published several artists‘ books dedicated to the theme of the city and artistic documentation of politically charged places. Among others, these include: Future World (2002), Sprengel Museum Hannover; Super Pussy Bangkok (2006), Institute for Book Arts Leipzig; E.D.S.A. (2010), Wiens Verlag, Berlin.
Elisabeth Neudörfl (* 1968 in Darmstadt, Germany) lives and works in Essen, Germany. In her photographic work, she explores social, political and historical topics. Most projects deal with urban and suburban settings and include architecture, traffic, spatial structures and specific incidents. The street is both her favourite working area and an important subject matter in various projects.
Neudörfl is Professor of Documentary Photography at the Folkwang University of the Arts in Essen. After vocational training as a photographer, she studied photography in Dortmund and Leipzig and has held various teaching positions. She has published her work in a number of books, for instance: Im Krankenhaus (2018, Spector Books, Leipzig, in collaboration with Ludwig Kuffer and Andreas Langfeld), E.D.S.A. (2010, Wiens Verlag, Berlin) and Super Pussy Bangkok (2006, Institute for Book Arts Leipzig). She has exhibited in solo and group shows internationally; recent shows include SUBJECT and OBJECT. PHOTO RHINE RUHR, Kunsthalle Düsseldorf; SCHWARZ [ˈʃvaʁʦ], Museum unter Tage, Bochum and Photography Calling!, Sprengel Museum Hannover.
In addition to private collections, her work is held in the collections of the Sprengel Museum Hannover and the Fotomuseum Winterthur. Neudörfl also writes about photography. Most recently she finished an article for the magazine Candide – Journal for Architectural Knowledge, entitled Photographer’s Dilemma: “Good” Photography vs. “Good” Architecture (issue No. 12, published by Hatje Cantz 2021).
From July 30 to November 7, 2021 Neudörfl‘s work will be on view at the Museum Folkwang in Essen where the project Im Krankenhaus about the Alfried Krupp Hospitals in Essen will be shown. This exhibition will be expanded and continue at the Villa Hügel in 2022.