Ausstellung: 9. September – 15. November 2017
Eröffnung: Freitag, 8. September, 18–21 Uhr
Vaclav Pozarek zeichnet für seine Ausstellungen oft Logos. Wie für eine Firma oder ein Produkt steht dann für die Ausstellung 2012 im Bündner Kunstmuseum in Chur LOS (Library of Sculpture) oder für die Ausstellung in der Galerie Francesca Pia in Zürich WOT (Wieder ohne Titel). Für seine erste Einzelausstellung in der Galerie Barbara Wien in Berlin wählt er HOH (Hund ohne Hose). Befragt nach dem Hintergrund des fast dadaistisch klingenden Logos sagt Pozarek: "Irgendwie sehe ich das für Berlin als passend an."
Pozarek liebt auch im Gespräch das Rätsel, die offene Form, die einen zum Nachdenken bringt. Er ist ein Meister der Andeutung, der sich nicht auf einengende Begriffe oder Vorstellungen von Kunst einlässt. Er wurde 1940 in Budweis (Tschechoslowakei, heute Tschechien) geboren, ist dort als Sohn eines 1948 enteigneten Hutfabrikanten aufgewachsen und hat alle Spielarten der politischen Gängelung, Bespitzelung und aberwitziger Hindernisse am eigenen Leib erlebt. Fast alles war ihm verwehrt über lange Zeit. Was man ihm gerade noch erlaubte, war, Werkzeugmacher zu werden, später bekam er eine Arbeit als Typograph in Pilsen. 1965/66 gelang es ihm zwar die Filmschule in Prag zu besuchen, aber er konstatiert heute: "Aus dem Filmstudium in Prag stieg ich damals aus. Ich war überfordert. Ich wollte nicht der politischen Linie, nicht den politischen Interessen dienen. Schon mein Interesse an der modernen Typographie der 20er und 30er Jahre - das ist auch ein Beweis. Diese Leute wurden nach dem Krieg, als die Kommunisten kamen, ausretuschiert [...] Da gab es keinen Jan Tschichold, keine Konstruktion." Es gab die offizielle Doktrin des Sozialistischen Realismus.
Dass die Kunst einer politischen Linie dienen soll, war schon aus biografischen Gründen für Pozarek kein Thema mehr. Er setzte sich 1968 nach Deutschland ab und kam über Hamburg und London nach Bern. In London konnte er bei Anthony Caro studieren, sich in die Formenwelt der Skulpturen, der historischen und aktuellen, hineindenken und seinen Weg entwickeln. Eine Besonderheit fällt dabei auf: er hat schon sehr früh die freien und die angewandten Künste selbstverständlich zusammen gedacht. Hier folgt Pozarek sicherlich der Tradition, aus der er stammt, den Konstruktivisten und der Idee, dass die Kunst auch gestalterisch in den Alltag wirken könnte. Aber er ist auch beeinflusst von den Gedanken eines Richard Hamilton. Alles war angelegt und ergibt, aus der heutigen Perspektive, eine logische Folge: so war er nicht nur in den 50er Jahren in der Tschechoslowakei als Typograph, Gestalter von Büchern und Plakaten tätig, er entwirft auch bis heute Grafik, Buchtypographie, Möbel und Ausstellungsarchitekturen und er entwickelt ein fotografisches Werk, das sich vor allem der Geschichte der Skulptur und der Architektur widmet. Das alles findet gleichwertig und parallel zu seinen Objekten statt, mit denen er sich, wie es im Pressetext des St. Gallener Sitterwerks heißt, "mit präziser Eigenständigkeit" zwischen Konzeptkunst und Minimalismus bewege.
Seit Mai 2017 arbeitet Vaclav Pozarek, der in Bern lebt und in Thun sein Atelier hat, in einem Gastatelier im Sitterwerk in St. Gallen. Dort baut er die Skulpturen und zeichnet für die HOH-Ausstellung - allesamt neue Werke, die in Berlin zu einem Ensemble zusammengesetzt werden. Pozarek lässt sich für seine Objekte oft von Zufallsfunden leiten. Er verwendet Holzreste, Kisten, Scharniere, Türen, wobei er genau im Auge hat, welche Stellung das jeweilige Objekt im Raum später einnehmen wird. Es gibt Skulpturen für Ecksituationen, Kistenkonstellationen, Türen oder Lattenzäune, die dann entgegen ihrer ehemaligen Funktion in einer Ecke des Raumes stehen, nichts beinhalten, nichts schließen und nicht abgrenzen. Es sind Alltagsgegenständen ähnliche Objekte, die autonom und funktionslos sind. Sie nützen nicht, sie dienen keinem Zweck, auch keinem ideologischen oder thematischen - sie sind Konstruktionen, Hindernisse und absurde Vehikel für die Gedanken des Betrachters.
Bei meinem Besuch in St. Gallen kurz vor der Ausstellung frage ich Pozarek nach diesen funktionslosen Alltagsformen. Er sagt: "Ja, ich suche schon in dieser Richtung die Formen, weil ich keine dramatische Geschichte erzähle." Zu den Farben Rotbraun und eierschalenfarbenes Küchenweiß, beides Farben, die man mit veralteten Einrichtungen in Verbindung bringt, und mit denen er die meisten Objekte lackiert: "Ich habe erstmal keine Farben, die etwas transferieren oder die Stellvertreter für irgendeine Emotion sind. Am liebsten wäre mir, überhaupt keine Farben. Aber weil die Objekte und Skulpturen oft aus verschiedenen Holzsorten und Holzfarben entstehen, braucht das eine einheitliche Haut, das ist wie ein Mantel. [...] Diese rotbraune Farbe ist nix, oder? Das ist quasi Grundierung. [...] Gelb steht für Neid, nicht wahr? Also jede Farbe steht für etwas. Und das Rotbraune [...] es heißt eigentlich: ’abwarten, jetzt kommt noch Farbe drauf!’"
So frage ich ihn auch nach den Zeichnungen für Berlin, u.a. gibt es eine Serie mit gezeichneten Sternformen. Er sagt, das habe natürlich nichts mit dem Universum zu tun, es sei "Null-Konstruktion", "ein Spiel, ob ich immer neue Variationen finde". Auch das Buch 50/50, das wir im Wiens Verlag als Teil der HOH-Ausstellung herausgeben und das in Budweis gedruckt wurde, ist einem Spiel ähnlich - es ist ein Künstlerbuch, ein Objekt, das wie ein Daumenkino angelegt ist. Das Buch startet mit einer kreisrunden, rotbraun gedruckten Fläche im Durchmesser 25 Millimeter, die sich vergrößert, eine Progession zeichnet sich ab. Pozarek auf meine Frage, ob das ein Spiel ist: "Es ist einfach Unsinn als Buch, oder?" Ich insistiere und nenne das Buch einen Film, einen abstrakten Film, woraufhin Pozarek erwidert: "Ich würde sagen: ’Licht im Tunnel’! [...] Man sieht die erste Seite und die letzte Seite und weiß, um was es geht. Man wird wie auf dem falschen Fuß erwischt. Es ist wie eine Falle."
Als ich aus St. Gallen in Richtung Berlin fahre, höre ich mir unser Gespräch noch einmal an und denke: was für ein Geschenk, diese Zurückhaltung, dieses Verweigern großer Behauptungen. Es gehört zu Pozareks vornehmem und vorsichtigem Umgang mit der Welt und dem Betrachter.
Barbara Wien
Vaclav Pozarek (* 1940 in Budweis, Tschechoslowakei, heute Tschechien). 1965–66 Studium der Filmregie an der Prager Filmakademie. 1968 verlässt Pozarek die Tschechoslowakei und zieht in die Schweiz. Von 1969 bis 1971 Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, 1971 und 1973 an der St. Martin’s School of Art in London bei Anthony Caro. Von London kehrt Pozarek zurück nach Bern, wo er bis heute lebt. 1986 Auslandstipendium des Kantons Bern in Paris. 1987 Atelierstipendium der Stadt Bern in New York. 1992–93 lebt er als Stipendiat des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) in Berlin; Einzelausstellung. Ab 1993 reist Pozarek gelegentlich wieder nach Prag. 1994–2005 Dozent an der Hochschule der Künste Bern.
Wichtige Einzelausstellungen: 1995 im Aargauer Kunsthaus, Aarau; 2004 im Kunstmuseum Winterthur; 2007 im Kunsthaus Glarus; 2012 im Bündner Kunstmuseum, Chur; 2015 im Kunstmuseum Solothurn.
Vaclav Pozarek, 50/50
48 Seiten, durchgehend illustriert, 28 x 24 cm, Fadenheftung. Aufl. 500 num. Exx..
Wiens Verlag, Berlin 2017. ISBN: 978-3-943888-12-6
25€
Eine num. und sign. Vorzugsausgabe ist in Vorbereitung.
Exhibition: September 9 – November 15, 2017
Opening: Friday, September 8, 6–9 pm
Vaclav Pozarek often draws logos for his exhibitions. Similar to that for a company or a product, his 2012 exhibition in the Bündner Kunstmuseum in Chur was titled LOS (Library of Sculpture) and the show in Francesca Pia Gallery in Zurich he named WOT (Wieder ohne Titel / Again without Title). For his first solo exhibition at Barbara Wien in Berlin, he chose HOH (Hund ohne Hose / Dog without Trousers). When asked about the meaning behind the almost Dadaistic-sounding logo, Pozarek said, "Somehow it seems appropriate for Berlin."
Also in conversations, Pozarek loves riddles, the open form that leads one to contemplate. He is a master of suggestion, refusing constricting concepts or visions of art. He was born in 1940 in ÄŒeské BudÄ›jovice (Czechoslovakia, today the Czech Republic), to the son of a hat manufacturer whose business was expropriated in 1948. Growing up there, Pozarek experienced first-hand all kinds of political aggression, spying and ludicrous impediments. For a long time, he had been denied of almost everything; the only remaining thing allowed was for him to become a toolmaker. However, later he found work as a typographer in Pilsen. In 1965/66, he succeeded in attending the film
school in Prague, but today he states, "I backed out then. I was overwhelmed. I didn’t want to take a political stance, or contribute to the political interests. My concern was already with the modern typography of the 20s and 30s – and that’s also proof. After the war, when the communists came, these people were erased"¦ there was no Jan Tschichold, no construction." There was the official doctrine of Socialist Realism.
The fact that the art should serve a political purpose, was already, due to biographical reasons for Pozarek, off the cards. He left in 1968, first to Hamburg and London before settling in Bern. In London, he could study under Anthony Caro, immerse himself into the world of sculptures – both historical and contemporary – and find his path. It is exceptionally striking to note that very early on he imagined free and applied arts occurring naturally together. From this, it’s clear to see that Pozarek adopts the tradition, originating from the constructivists that art should have a creative impact on everyday life. However, he is also influenced by Richard Hamilton’s ideas. Everything was determined and, as seen from today’s perspective, resulted in a logical consequence: he was not only active as a typographer, book and poster designer in the 1950s, but to date he still designs graphics, book typography, furniture and exhibition layouts. Furthermore, he is developing a photographic work devoted to the history of sculpture and architecture. All of this runs homogenously and in parallel to the creation of his objects, with which he moves (as stated in the St. Gallener Sitterwerk’s press release) "with precise autonomy" between conceptual art and minimalism.
Since May 2017 Pozarek, who lives in Bern and has his studio in Thun, works in a guest studio in Sitterwerk in St. Gallen. The latter is where he draws and builds the sculptures for the HOH exhibition. All are new works, which will be brought together in Berlin to form an ensemble. Concerning his objects, Pozarek often allows chance findings to guide him. He uses scraps of wood, boxes, hinges and doors, keeping a close eye on what position each object will assume later in the space. There are sculptures for corner situations, box constellations, doors and picket fences, which in contrast to their former function, stand in the corner of the room and contain nothing, do not close and do not delineate. They are similar to everyday objects which are autonomous and functionless. They use nothing, they serve no purpose – not even an ideological or thematic function. They are constructions, obstacles and absurd vehicles for the minds of the beholders.
When I visited him in St. Gallen shortly before the exhibition, I asked about these functionless everyday forms. He said, "Yes, I’m looking for forms in this direction, because I’m not telling a dramatic story." He mostly paints his objects red-brown and egg-shell-kitchen-white, both colours connoting dated furnishings. Concerning this choice, Pozarek said: "I don’t have colours that transfer something or are agents for an emotion. At best would be no colour at all. But because the objects and sculptures are often made from various kinds of wood and colours, a uniformed skin is needed, like a coat ["¦] This red-brown colour is nothing, right? It’s like a primer ["¦] Yellow stands for envy, doesn’t it? So, every colour stands for something. And the red-brown ["¦] - it means, ’wait, a colour is yet to be applied on top!’" Then I asked about the drawings for Berlin. Amongst others there’s a series with plotted star shapes. He said: "That obviously doesn’t have anything to do with the universe, it’s "Zero-Construction", "a game of finding new variations." Similarly, the book 50/50, printed in ÄŒeské BudÄ›jovice and published by Wiens Verlag in conjunction with the HOH exhibition, is a game. It is an artists’ book - an object, designed like a flip-book. The book begins with a circular, red-brown, printed surface, measuring 25mm in diameter. It grows; a progression looms. I asked Pozarek if it is a game: "It’s simply nonsense as a book, right?" I insisted and called the book a film - an abstract film, to which Pozarek responded: "I would say: ’Light in the tunnel’! ["¦] You see the first page and the last page and know what’s going to happen. You’re caught on the wrong foot. It’s like a trap."
As I make my way from St. Gallen back to Berlin, I listen again to our conversation and think: what a present, this reluctance, this refusal of larger allegations. It fits with Pozarek’s gentle and careful handling of the world and the beholder.
Barbara Wien
Vaclav Pozarek (*1940 in ÄŒeské BudÄ›jovice, CSSR). 1965-66 studied Fim Directing at the Prague Film Academy. 1968 Pozarek left Czechoslovakia and moved to Switzerland. From 1969 until 1971 he studied at the College of Fine Arts in Hamburg, 1971 and 1973 at St. Martin’s School of Art in London under Anthony Caro. From London, he returned to Bern, where he still lives today. 1986 foreign scholarship from the canton of Bern in Paris. 1987 studio scholarship from the city of Bern in New York. 1992-93 he lived in Berlin as a scholarship holder of the DAAD (German Academic Exchange Service); solo exhibition. Since 1993 Pozarek occasionally travels back to Prague. 1994-2005 Lecturer at the Bern University of the Arts. Significant solo exhibitions: 1995 Aargauer Kunsthaus, Aarau; 2004 Kunstmuseum Winterthur; 2007 Kunsthaus Glarus, 2012 Bündner Kunstmuseum, Chur; 2015 Kunstmuseum Solothurn.
Vaclav Pozarek, 50/50
48 pages, illustrated throughout, 28 x 24 cm, thread stitching, edition of 500 numbered copies.
Wiens Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-943888-12-6
25€
One numbered and signed special edition is in the pipeline.