22. Februar – 12. April 2025
Freitag, 21. Februar:
18–20 Uhr, Eröffnung
19 Uhr, Buchpräsentation mit Elisabeth Neudörfl und Steffen Egle, Direktor des mpk – Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern
Ansichten von K. – Wer oder was ist K.? Was denkt K.? Oder: Wie sieht K. aus? Manch eine:r mag schon an Brechts „Herrn K.“ oder an Kafkas „Josef K.“ denken, doch wir befinden uns ganz woanders: Betze, K-Town, Pfaff hieß eine Gruppenausstellung im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (2024/2025), für die die Fotoserie und das Künstlerbuch Ansichten von K. der Dokumentarfotografin Elisabeth Neudörfl ursprünglich entstanden sind. Und damit kommt man der Lösung des Rätsels um die Ansichten von K. ein Stück näher, das Neudörfl selbst nicht vollständig auflösen will. Ihr ist die Verkürzung wichtig, die wegführt von der lokalen Verortung, wodurch Raum für mehr Offenheit entsteht. Es geht um einen Vorschlag: „So kann man das anschauen.“
„K-Town“ (nicht zu verwechseln mit Korea-Town) ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für Kaiserslautern, eine Stadt, die seit den 1950er-Jahren stark durch Militärpräsenz geprägt ist. Um die 50.000 US-Soldat:innen leben dort mit ihren Familien, denn die „Ramstein Air Base“ liegt nur etwa 20 Kilometer vom Zentrum entfernt. Immer wieder in die Presse geraten ist die Ramstein Air Base in den letzten Jahren aufgrund der von dort gesteuerten US-Kampfdrohnen-Einsätze und der Frage, inwiefern Deutschland mitverantwortlich ist für Menschenrechtsverletzungen, die mit diesen Drohnen begangen werden. Der Anschlag der RAF auf die Airbase 1981 und das schwere Flugschau-Unglück im Jahr 1988 sind als dunkle Ereignisse in die Geschichte der BRD eingeschrieben. „Betze“ steht stellvertretend für den Betzenberg und das dortige Fritz-Walter-Stadion des 1. FC Kaiserslautern – aktuell ein Zweitligist, aber von 1963 bis 1996 durchgängig in der ersten Liga. Und „Pfaff“, der Name einer international bekannten Firma für Nähmaschinen, dient als Verweis auf die industrielle Vergangenheit der Stadt. All diese Faktoren sind identitätsstiftend für die Bevölkerung von Kaiserslautern und prägen die Realität der Stadt, von der uns Neudörfl Ansichten zeigt. Nach eingehender Beschäftigung mit der Geschichte der Stadt, war Neudörfl im Sommer und Herbst 2023 fünf Mal für mehrere Tage zum Fotografieren in der kreisfreien Industrie- und Universitätsstadt mit ihren etwas über 100.000 Einwohner:innen im Süden von Rheinland-Pfalz.
Und was genau hat K. nun zu bieten, eine Stadt in der es laut der Soziologin Annette Spellerberg nur „wenige architektonische Highlights“ gibt, deren „historische Identitätsanker weitgehend zerstört sind“ und die sich gerade von einem Industrie- zu einem zukunftsweisenden Technologiestandort wandelt? Auf den oft detailreichen Motiven Neudörfls sehen wir vor allem Architektur und Infrastruktur: alte und neue Gebäude und Fassaden, immer von außen und ohne Menschen; Straßenverläufe, Ampeln und Schilder; übliches Stadtmobiliar, mehr oder weniger gepflegte Grünanlagen und (Vor-)Gärten; dazu Baustellen, Verteilerkästen, Zäune, Absperrungen, Parkplätze; nicht zu vergessen Fahrzeuge, insbesondere die Hubschrauber und Flugzeuge über der Stadt; absurd wirkende Szenen und Objekte: Marodes, Mülliges, aber auch Schönes, Gediegenes und Einladendes, zentral wie auch periphär; Flaggen, Firmenlogos, Sticker; Läden, Gewerbe, Gastronomie; insgesamt jedoch wenig Konsumoberfläche, und wenn doch, dann eher am Rand; und zu alldem im Kontrast: die archäologischen Funde, die den ursprünglichen Standort der mittelalterlichen Kaiserpfalz markieren.
Besonders fallen wohl die Hinweise auf die amerikanische Bevölkerung auf, die ihren eigenen Lifestyle mitgebracht hat: eigene Straßenschilder, Shopping Areas, Carports und Outdoor-Basketballanlagen. Außerdem markant: die schon genannten, vermutlich vor allem militärisch genutzten Flugzeuge und Hubschrauber. Beim Fotografieren hat die Künstlerin selbst am meisten überrascht, „wie dicht die Flugzeuge bei ihrem Anflug auf Ramstein über die Stadt fliegen. Und wie sehr zwei ganz unterschiedliche Auffassungen von städtischem Raum nebeneinander existieren: eine europäisch-historische Stadt, typisch Bundesrepublik, und sehr amerikanisch anmutende Räume, die viel offener, aber auch unorganisierter sind.“
Ansichten von K. besteht aus 77 querformatigen Farbfotografien, aufgenommen mit einer digitalen Kleinbild-Spiegelreflex-Kamera. Die Fotos sind, von Neudörfl in eine für sie schlüssige Ordnung gebracht, im Künstlerbuch hintereinander je doppelseitig abgedruckt, was den zeitlichen Aspekt betont; ergänzt werden sie durch einen Text der Soziologin Annette Spellerberg und einen Index. In ihrer inzwischen 5. Einzelausstellung in der Galerie Barbara Wien zeigt Elisabeth Neudörfl eine Auswahl von 35 Motiven. Wie schon im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern reiht sie auch hier oft mehrere gleichgroße Motive der in rahmenlosen Bilderhaltern präsentierten digitalen C-Prints so aneinander, dass sie aneinanderstoßen und ihre Motive ineinander überzugehen scheinen. Anders als im Buch haben die Betrachter:innen in der Ausstellung die Möglichkeit, die Motive größer und auch mehrere gleichzeitig zu sehen. Die Hängung in Gruppen beinhaltet außerdem eine Fokussierung auf inhaltliche und auch unerwartete formale Aspekte.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit festumrissenen urbanen Orten – wie hier Kaiserslautern – ist für Elisabeth Neudörfl nicht neu. So begreift sie sich schon immer als eine Art Beobachterin. Als diese begibt sie sich auf die Suche nach Diskursen der Gegenwart und ihren architektonischen und sozialen Manifestationen in Stadträumen: so etwa 2020 in der Zeit der aufkommenden Covid-19-Pandemie und der Studentenproteste gegen die Peking-nahe Regierung in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong (Out in the Streets); 2010 dokumentierte sie Szenen an der Epifanio de los Santos Avenue, einer wichtigen Verkehrsader in Manila, die seit den 1980er-Jahren immer wieder für politische Proteste genutzt wurde (E.D.S.A.); 2006 standen drei Straßen im Rotlichtbezirk von Bangkok im Zentrum ihrer Recherche (Super Pussy Bangkok). Ihre Feldforschungen mündeten jeweils in einer Fotoserie und einem Künstlerbuch.
Folgendes Statement von Elisabeth Neudörfl gibt Einblick in ihr Selbstverständnis als Dokumentarfotografin: „Jedes Foto zeigt einen sehr exklusiven Ausschnitt der Welt – räumlich und zeitlich. Das Bild ist durch den Rahmen klar beschnitten und die Belichtung ist nur ein Moment in der Zeit. Trotz dieses räumlichen und zeitlichen Ausschnitts, der so viel mehr ausschließt, als er zeigt, können wir auf Fotografien Dinge sehen, die wir in unserer kontinuierlichen Wahrnehmung der Realität nicht sehen können.“
Text: Barbara Buchmaier
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Elisabeth Neudörfl (*1968 in Darmstadt) lebt und arbeitet in Essen. Sie studierte Fotografie in Dortmund und Leipzig und ist seit 2009 Professorin für Dokumentarfotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Sie hatte unter anderem folgende Einzelausstellungen: Out in the Streets, Galerie Barbara Wien, Berlin (2021); unseen aspects of a city, Galerie Barbara Wien, Berlin (2013/2014); Habitat, Galerie Barbara Wien, Berlin (2010/2011); Von der Straße, Galerie Barbara Wien, Berlin (2009); Future World, Sprengel Museum Hannover (2002); der Stadt, Fotogalerie in der Brotfabrik, Berlin (1998).
Elisabeth Neudörfl hat an zahlreichen Gruppenausstellungen teilgenommen, darunter Betze, K-Town, Pfaff. Künstlerische Sichten auf Kaiserslautern von Sophie Innmann, Nikolaus Koliusis, Elisabeth Neudörfl und Erik Sturm, mpk – Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (2024/2025); Fotografische Sammlung. Im Krankenhaus: Ludwig Kuffer, Andreas Langfeld, Elisabeth Neudörfl, Museum Folkwang, Essen (2021); SUBJEKT und OBJEKT. FOTO RHEIN RUHR, Kunsthalle Düsseldorf (2020); Kunst & Kohle. Schwarz, Ruhr Kunst Museen, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum und der grosse Anspruch des kleinen Bildes, Galerie Barbara Wien, Berlin (2018); Photography Calling, Sprengel Museum Hannover (2011); Ruhrblicke, SANAA-Gebäude, Zeche Zollverein, Essen (2010); Hyper Cities – Über Städte, Museum für Asiatische Kunst, Berlin (2007); Asia City Strangers, Galerie Fotohof, Salzburg (2006).
Ab dem 4. Mai 2025 wird Elisabeth Neudörfl an der Gruppenausstellung Neugier, Mut und Abenteuer: Fotografinnen auf Reisen im Kunstforum Ingelheim – Altes Rathaus in Ingelheim am Rhein teilnehmen.
Künstlerbücher und Publikationen von Elisabeth Neudörfl (Auswahl): Ansichten von K., Hatje Cantz, Berlin 2024; Out in the Streets, Hatje Cantz, Berlin 2021; E.D.S.A., Wiens Verlag, Berlin 2010; Super Pussy Bangkok, Institut für Buchkunst an der HGB Leipzig, Leipzig 2006; Future World, Ausstellungskatalog, Sprengel Museum Hannover, Berlin 2002.
February 22 – April 12, 2025
Friday, February 21: 6–8 pm, Opening
7 pm, Book Presentation with Elisabeth Neudörfl and Steffen Egle, director of mpk – Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern
Ansichten von K. – Who or what is K.? What does K. think? Or: What does K. look like? Some may already be thinking of Brecht‘s “Mr. K.” or Kafka‘s “Josef K.”, but we are somewhere else entirely. Documentary photographer Elisabeth Neudörfl originally created the photo series and artist‘s book, Ansichten von K. (engl. Views of K.), for the group exhibition Betze, K-Town, Pfaff at the Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (2024/2025). This brings us a step closer to understanding the mystery around the views of K., which Neudörfl herself does not want to solve completely. What is important to her is the abbreviation, which defies localisation, creating a space for more openness. It‘s about a suggestion: “You can look at it like this.”
“K-Town” (not to be confused with Korea-Town) is a colloquial term for Kaiserslautern, a city that has been strongly characterised by US military presence since the 1950s. Around 50,000 US soldiers and their families live in K-Town, with the “Ramstein Air Base” located only 20 kilometres from the city centre. The Ramstein Air Base has repeatedly been in the news in recent years due to the US combat drone missions controlled from there and the question of the extent to which Germany is jointly responsible for human rights violations committed with these drones. The Red Army Faction attack on the airbase in 1981 and the serious airshow accident in 1988 are inscribed in the history of the Federal Republic of Germany as dark events. “Betze” is short for “Betzenberg”, a ridge in the city, and the location of the Fritz Walter Stadium, home of the football club 1. FC Kaiserslautern, which currently plays in the 2. Bundesliga but was in the 1. Bundesliga from 1963 to 1996. “Pfaff”, the name of an internationally renowned sewing machine company, is a reference to the city‘s industrial past.
All of these factors shape the identity of the people of Kaiserslautern and define the reality of the city that Neudörfl shows us views of. After thoroughly studying the history of the city, Neudörfl visited the industrial hub and university town – home to just over 100,000 people – in the south of Rhineland-Palatinate five times during the summer and fall of 2023 to take photographs for several days.
And what exactly does K. have to offer, a city in which, according to sociologist Annette Spellerberg, there are only “few architectural highlights”, whose “historical identity anchors have been largely destroyed” and which is currently transforming itself from an industrial to a forward-looking technology centre?
In Neudörfl’s often highly detailed motifs, architecture and infrastructure stand out above all: old and new buildings and facades, always from the outside and without people; streets, traffic lights and signs; the usual street furniture, more or less well-tended green spaces and (front) gardens; plus building sites, junction boxes, fences, barriers, car parks; not to forget vehicles, especially the helicopters and aeroplanes over the city; absurd-looking scenes and objects: rundown, rubbish-strewn, but also beautiful, dignified and inviting, both central and peripheral; flags, company logos, stickers; shops, businesses, restaurants; overall, however, few consumption surfaces, and if there are any, they are rather at the periphery; and in contrast to all this: the archaeological findings that mark the original location of the medieval Kaiserpfalz (imperial palace).
Particularly striking are the references to the local American population, who have brought their lifestyle with them: their own street signs, shopping areas, carports and outdoor basketball facilities. Also striking: the aforementioned aeroplanes and helicopters, presumably used for military purposes. When taking photographs, the artist herself was most surprised by “how close the aeroplanes fly over the city on their approach to Ramstein. And how two very different conceptions of urban space exist side by side: a European-historical city, typical of the Federal Republic of Germany, and spaces that feel very American, which are much more open, but also more disorganised.”
Ansichten von K. consists of 77 landscape-format colour photographs, captured with a small-format DSLR camera. The photos were arranged by Neudörfl in a sequence that made sense to her and then printed double-sided as an artist’s book, emphasising the temporal aspect. They are accompanied by a text by sociologist Annette Spellerberg and an index.
In what is now her fifth solo exhibition at Galerie Barbara Wien, Elisabeth Neudörfl is showing a selection of 35 motifs. As in her exhibition at the Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, she often arranges several of the digital C-prints of the same size in frameless picture holders so that they abut, causing the motifs to appear as if they merge into one another. Unlike in the book, viewers in the exhibition have the opportunity to see the motifs larger and several at the same time. The grouping also brings a focus on content and unexpected formal aspects.
Her artistic engagement with clearly defined urban spaces – such as in this case Kaiserslautern – is not new for Elisabeth Neudörfl. She has always regarded herself as an observer. In this role, she embarks on a search for contemporary discourses and their architectural and social manifestations in urban spaces: for example in 2020 during the initial Covid-19 outbreak and the student protests against the pro-Beijing government in the Chinese Special Administrative Region of Hong Kong (Out in the Streets); in 2010, she documented scenes on Epifanio de los Santos Avenue, an important traffic artery in Manila that has been repeatedly used for political protests since the 1980s (E.D.S.A.); in 2006, she focused on three streets in Bangkok‘s red light district (Super Pussy Bangkok). Neudörfl’s field research always resulted in a photo series and an artist‘s book.
The following statement by Elisabeth Neudörfl provides insight into her understanding of herself as a documentary photographer: “Each photograph shows a very exclusive section of the world – spatially and temporally. The picture is clearly cropped by the frame and the exposure is only a moment in time. In spite of this spatiotemporal detail that excludes so much more than it shows, we can see things in photographs that we cannot see in our continuous perception of reality.”
Text: Barbara Buchmaier
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Elisabeth Neudörfl (b. 1968 in Darmstadt) lives and works in Essen. She studied photography in Dortmund and Leipzig. Since 2009, she has been a professor of documentary photography at the Folkwang University of the Arts in Essen. Her solo exhibitions include Out in the Streets, Galerie Barbara Wien, Berlin (2021); unseen aspects of a city, Galerie Barbara Wien, Berlin (2013/2014); Habitat, Galerie Barbara Wien, Berlin (2010/2011); Von der Straße, Galerie Barbara Wien, Berlin (2009); Future World, Sprengel Museum Hannover (2002); der Stadt, Fotogalerie in der Brotfabrik, Berlin (1998).
Elisabeth Neudörfl has participated in numerous group shows including Betze, K-Town, Pfaff. Künstlerische Sichten auf Kaiserslautern von Sophie Innmann, Nikolaus Koliusis, Elisabeth Neudörfl und Erik Sturm, mpk – Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (2024/2025); Fotografische Sammlung. Im Krankenhaus: Ludwig Kuffer, Andreas Langfeld, Elisabeth Neudörfl, Museum Folkwang, Essen (2021); SUBJEKT und OBJEKT. FOTO RHEIN RUHR, Kunsthalle Düsseldorf (2020); Kunst & Kohle. Schwarz, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum and der grosse Anspruch des kleinen Bildes, Galerie Barbara Wien, Berlin (2018); Photography Calling, Sprengel Museum Hannover (2011); Ruhrblicke, SANAA-Gebäude, Zeche Zollverein, Essen (2010); Hyper Cities – Über Städte, Museum für Asiatische Kunst, Berlin (2007); Asia City Strangers, Galerie Fotohof, Salzburg (2006).
She will also participate in the group show Neugier, Mut und Abenteuer: Fotografinnen auf Reisen, on view from May 4, 2025 at Kunstforum Ingelheim – Altes Rathaus in Ingelheim am Rhein.
Artist’s books and publications by Elisabeth Neudörfl (selection): Ansichten von K., Hatje Cantz, Berlin 2024; Out in the Streets, Hatje Cantz, Berlin 2021; E.D.S.A., Wiens Verlag, Berlin 2010; Super Pussy Bangkok, Institut für Buchkunst an der HGB Leipzig, Leipzig 2006; Future World, exhibition catalogue, Sprengel Museum Hannover, Berlin 2002.